Wer will heute eigentlich noch führen?
Warum gerade junge Menschen Führungsrollen meiden – und was das für Organisationen bedeutet
Früher war Karriere fast automatisch mit der Übernahme von Führungsverantwortung verbunden. Wer aufstieg, strebte nach Macht, Einfluss und gesellschaftlichem Ansehen. Führung galt als Statussymbol.
Doch heute? Viele junge Menschen setzen andere Prioritäten: Auszeiten, persönliche Entfaltung, flexible Arbeitsmodelle, Sinnsuche im Job etc. Was bedeutet das für klassische Führungsrollen, die Zeit, Fokus und Engagement fordern? Wie passt das zusammen mit dem Wunsch nach Balance zwischen Arbeit, Familie und Freizeit?
Vom Fachkräftemangel zum Führungskräftemangel?
Diese Entwicklung zeigt bereits Folgen: Nicht nur Fachkräfte fehlen, zunehmend mangelt es auch an Führungskräften. Besonders für Funktionen im mittleren Management ist das Interesse gering. Aber warum?
Viele empfinden ein „bisschen mehr Gehalt“ nicht als ausreichenden Ausgleich für die zusätzliche Verantwortung, die Führung mit sich bringt. Und es steckt mehr dahinter als nur die Frage der Bezahlung: Führung bedeutet einen grundlegenden Rollenwechsel – weg vom eigenen fachlichen Tun, hin zur Verantwortung für Menschen, deren Leistungen, Entwicklung und Verhalten. Dabei verlässt man die eigene Komfortzone nicht nur für sich selbst, sondern vor allem im Dienste anderer – mit all den Herausforderungen wie Beziehungsarbeit, Konflikte, Feedback und Gespräche zu unangenehmen persönlichen Themen.
Hand aufs Herz: Wer will sich dem wirklich stellen?
Frage 1: Warum lehnen junge Menschen Führung (noch) ab?
Ein Blick auf die jüngeren Generationen zeigt: Viele sehen in Führungspositionen keinen Anreiz, sondern ein Risiko.
Eine aktuelle Deloitte-Umfrage bringt es auf den Punkt: Nur sieben Prozent der Millennials (Generation Y, geboren zwischen 1981 und 1995) sehen eine Leitungsfunktion als zentrales Karriereziel. Auch bei der Gen Z (geboren zwischen 1995 und 2010) ist das Bild ähnlich – klassische Führungsrollen stehen weit unten auf der Wunschliste. Stattdessen zählen heute Sicherheit und persönliche Balance.
Die Gen Z will mitgestalten, nicht kontrollieren. Sie sucht nach Sinn, Fairness und Entwicklung – nicht nach Hierarchie, Kontrolle oder Status. Klassische Führungskarrieren wirken wie ein Rückschritt: mehr Druck, weniger Selbstbestimmung.
Hinzu kommt das Bild, das viele von „Führung“ mitbringen: autoritär, politisch, wenig wertebasiert. Wer sich selbst eher als Coach, Sparringspartner*in oder Teamplayer versteht, sieht in klassischen Führungsetagen häufig keine Vorbilder – und will lieber auf Augenhöhe wirken, statt oben zu sitzen.
Die Folge: Führung wird abgelehnt, weil sie nicht zu den eigenen Werten passt. Nicht, weil junge Menschen keine Verantwortung übernehmen wollen – sondern weil sie es anders tun wollen. (Quelle: www.derstandard.at)
Frage 2: Geht es auch ohne klassische Führung?
Könnten Teams sich selbst organisieren, Entscheidungen gemeinsam treffen und Verantwortung teilen? Viele Start-ups und moderne Organisationen versuchen genau das – mit Modellen wie etwa Holacracy oder kollektiver Führung.
Doch auch hier bleiben Menschen für Managemententscheidungen in der Letztverantwortung. Wer diese Rollen übernimmt, trägt strategische Hauptlast: bei Finanzierungsfragen, Kundenbeziehungen, Krisen oder Restrukturierungen. Verantwortung kann geteilt werden, aber nie vollständig entkoppelt von Einzelverantwortung.
Mögliche Lösungswege: Ein Weg, Führung wieder attraktiver zu machen, liegt eventuell in neuen Modellen: Co-Leadership, Jobsharing, Tandems. Zwei Menschen teilen sich Aufgaben und Verantwortung – und begleiten und unterstützen sich gegenseitig (siehe dazu unseren anderen Blogbeitrag).
Solche Modelle ermöglichen mehr Flexibilität, bieten Austausch und entlasten Einzelne. Doch sie erfordern auch viel Vertrauen, Kommunikation und Rollenklärung: Wann funktioniert geteilte Verantwortung – und wann braucht es doch eine klare Entscheidungslinie?
Die entscheidende Frage lautet also nicht: Führung, ja oder nein? Sondern: Wie kann Führung neugestaltet werden, damit sie wieder anschlussfähig wird – besonders für junge Menschen?
Frage 3: Fehlen sichtbare Vorbilder?
Vielleicht liegt die Zurückhaltung auch daran, dass es zu wenige echte Vorbilder gibt. Die konservative Führungskultur der Babyboomer – autoritär, hierarchisch, kontrollierend – passt nicht mehr.
Was fehlt, sind Führungspersönlichkeiten, die zeigen: Man kann führen, ohne sich zu persönlich zu verbiegen. Man kann führen, ohne ein kontrollierender Mikromanager zu sein. Man kann führen und dabei empathisch, mitfühlend und lernbereit bleiben.
Wenn junge Menschen sehen, dass Führung nicht gleichbedeutend ist mit Überforderung, Druck oder politischem Machtspiel – sondern auch ein Raum für Entwicklung, Gestaltung und Wirksamkeit – könnte sich ihre Haltung verändern.
Frage 4: Was ist eigentlich mit der Generation 40+?
In der Diskussion um Nachwuchsführung hört man viel über die Generation Z – und zunehmend über Ältere, die länger arbeiten (müssen). Doch was ist mit den 40- bis 50-Jährigen?
Gerade diese Altersgruppe vereint oft Stabilität, Erfahrung und neuen Gestaltungswillen. Gleichzeitig sind viele in dieser Lebensphase privat stark gefordert: Kinder, Pflege, Haushalt. Besonders Frauen tragen hier oft Mehrfachverantwortung. Männer engagieren sich häufig in Vereinen oder Ehrenämtern. Berufliche Führungsrollen werden bereits ausgeübt oder der Wunsch danach tritt zurück – oder wurde nie angestrebt.
Wird diese Altersgruppe unterschätzt? Und wenn ja: Wie könnte eine Arbeitswelt aussehen, die ihr Potenzial besser erkennt und fördert? Welche Rahmenbedingungen würde es brauchen, um Job und Familie besser zu vereinbaren? Unternehmen werden zukünftig noch mehr gefordert sein, um die Wünsche dieser Zielgruppe zu ermitteln und mit bedarfsorientierten, attraktiven Angeboten Lust auf Führungsfunktionen zu machen.
Fazit: Führung als Einladung zur Mitgestaltung
Die Frage ist nicht, ob (junge) Menschen führen wollen. Die Frage ist, wie sie sich Führung vorstellen – und ob Organisationen bereit sind, diese Vorstellungen ernst zu nehmen.
Wer heute führen soll, muss nicht nur bereit sein, Verantwortung zu übernehmen, sondern auch Raum bekommen, sie sinnvoll auszugestalten. Führung ist heute mehr Haltung als Status, mehr Beziehung als Macht.
Deshalb: Führung bleibt eine Einladung. Zum Mut, zur Reflexion, zur Mitgestaltung. Die Bereitschaft dazu wächst, wenn Strukturen und Rahmenbeziehungen entstehen, die nicht abschrecken, sondern ermutigen.
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