Frauen, Führung und Perfektion: Zwischen Anspruch und Realität
„Sei perfekt! Sei stark! Mach alles selbst!“ Viele Frauen kennen diesen inneren Anspruch nur zu gut. Er entsteht nicht von ungefähr: Leistung, Disziplin und Gewissenhaftigkeit wurden vielen Mädchen von klein auf vermittelt. Noch heute sind Frauen in Schule und Studium häufig die Fleißigen, die mit Genauigkeit und Anpassung glänzen. Doch was in frühen Jahren geschätzt wird, kann im Berufsleben – insbesondere in Führungsrollen – schnell zur Falle werden.
Denn wer immer alles selbst machen will, signalisiert: Ich brauche keine Unterstützung. Wer niemals Schwächen zeigt, vermittelt: Ich darf nicht verletzlich sein. Und wer ständig den Anspruch hat, perfekter zu sein als alle anderen, setzt Maßstäbe, die weder für sich selbst noch für das Team gesund sind.
Perfektion als Karrierebremse
Frauen übernehmen im Job oft mehr Zusatzaufgaben – sei es durch besonders gründliches Arbeiten, durch „unsichtbare“ Tätigkeiten wie Organisation oder durch die Tendenz, sich stärker einzubringen. Dennoch landen sie seltener in den obersten Führungsetagen. Ein Faktor dabei: Perfektionismus, der sie zwar als verlässliche Leistungsträgerinnen auszeichnet, aber den eigenen Aufstieg bremsen kann.
Chefs befördern durchaus leistungsstarke Frauen ins mittlere Management – dort, wo Zuverlässigkeit und hohe Arbeitsmoral das Leben der Vorgesetzten erleichtern. Doch wer möchte seine „beste Arbeitskraft“ schon verlieren, indem er sie in eine Rolle hebt, in der sie weniger operativ tätig ist? Auf diese Weise bleibt manch talentierte Frau auf der Ebene „unentbehrliche Fachkraft“ hängen.
Hinzu kommt die Zurückhaltung bei Gehaltsverhandlungen: Während von Führungskräften – auch Frauen – erwartet wird, ihr Gehalt offensiv einzufordern, hoffen viele auf Anerkennung durch Ergebnisse allein. Doch diese Rechnung geht selten auf. Ohne Selbstbewusstsein in eigenen Verhandlungen werden Frauen leicht unter Wert bezahlt.
Gesellschaftliche Prägung wirkt bis heute
Auch heute gilt: Frauen werden von der Gesellschaft strenger beurteilt, sowohl von Männern als auch von Frauen. Unpünktlichkeit, Nachlässigkeit oder lauter Tonfall werden Männern schneller verziehen. Frauen hingegen werden für die gleichen Verhaltensweisen kritischer beäugt – und oft von anderen Frauen am härtesten.
Diese doppelten Standards verstärken den Druck. Das Bild der „perfekten Führungsfrau“ – stark, fehlerlos, stets souverän – hält sich hartnäckig. Doch in Zeiten von New Work, hybrider Zusammenarbeit und wachsender Komplexität wird immer klarer: Die Zukunft gehört nicht den Perfektionistinnen, sondern den Mutigen, den Lernbereiten und den Teamorientierten.
Der Teufelskreis Perfektionismus
Perfektionismus klingt auf den ersten Blick nach einer positiven Eigenschaft. Doch wer immer „alles richtig“ machen will, läuft Gefahr, in eine Endlosschleife zu geraten:
- Hohe Erwartungen an sich selbst → ständiges Überarbeiten von Präsentationen, Konzepten oder Details.
- Überlastung → Erschöpfung, das Gefühl „es nie genug zu schaffen“.
- Noch höhere Ansprüche → der Druck steigt, und Fehler werden umso schwerer ertragen.
Das Ergebnis: sinkendes Selbstvertrauen, fehlende Gelassenheit und ein Führungsstil, der Mitarbeitende ebenfalls in Richtung Überforderung treiben kann.
Drei Schritte, um auszubrechen
Wie also den Perfektions-Teufelskreis durchbrechen? Die folgenden Ansätze haben sich bewährt:
- Neue Regeln für Führung akzeptieren
Führung ist nicht gleich Facharbeit. Wer führt, muss nicht alles besser wissen. Fachliche Exzellenz liegt oft bei den Mitarbeitenden – die Aufgabe von Führungskräften ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, Orientierung zu geben und Potenziale zu entfalten. Perfektion ist hier fehl am Platz. Stattdessen zählen Mut, Leichtigkeit, Zuversicht und Menschlichkeit. - Selbstbewusst führen, statt alles selbst tun
Führung erfordert Bewusstsein für die eigene Rolle und Wirkung. Dazu gehört auch, Aufgaben loszulassen, Delegation zu üben und Vertrauen in das Team aufzubauen. Wer alles allein erledigt, schwächt nicht nur sich selbst, sondern auch die Entwicklung der Mitarbeitenden. - Reflexion und Weiterentwicklung zulassen
Kein Mensch führt perfekt – und das ist auch nicht nötig. Austausch mit Business Coaches, Mentor*innen oder Sparringpartner*innen unterstützt dabei, sich selbst besser zu verstehen und Handlungsspielräume zu erweitern. Wichtig: Regelmäßig innehalten, Feedback einholen, eigene Muster reflektieren und bewusst neue Wege ausprobieren.
Mehr Mut zur Lücke
Ein zentraler Lernschritt ist der „Mut zur Lücke“. Nicht alles muss perfekt sein. 80 Prozent reichen in vielen Situationen völlig aus. Fehler gehören zum Berufsleben, ja zum Leben insgesamt. Wer sie als Lernchance begreift, gewinnt an Stärke.
Ein praktischer Tipp: Feiern Sie Ihre Erfolge, und zwar nicht nur die großen. Loben Sie sich für mutige Entscheidungen, für das Delegieren einer Aufgabe oder für das Zulassen von Unvollkommenheit. Sprechen Sie über Erfolge, teilen Sie positive Erfahrungen. Sichtbarkeit entsteht nicht von allein, sie muss aktiv gestaltet werden.
Vorbild für die nächste Generation
Perfektionismus wird nicht nur im Job, sondern schon in der Kindheit gelernt. Eltern – und gerade Mütter – haben deshalb großen Einfluss. Kinder sollten früh eigene Erfahrungen machen dürfen, auch wenn nicht alles sofort gelingt. Selbstständigkeit, Eigenwille und Widerstand sind manchmal anstrengend, aber die besten Grundlagen für ein starkes Selbstbewusstsein.
Wer Kinder immer „brav“ erzieht, riskiert später Erwachsene, die gefallen wollen – und in Führungspositionen unnötig an sich zweifeln. Deshalb: Fehler zulassen, Mut belohnen, Eigenständigkeit fördern.
Fazit: Weg vom Perfektionszwang – hin zu echter Stärke
Perfektionismus mag auf den ersten Blick wie ein Zeichen von Stärke wirken, ist aber oft das Gegenteil: eine Falle, die Energie raubt, Karrieren ausbremst und Selbstvertrauen untergräbt.
Frauen in Führungsrollen stehen heute mehr denn je vor der Aufgabe, alte Muster zu durchbrechen. Es braucht nicht mehr Perfektion, sondern mehr Authentizität, Klarheit und Mut zur Unvollkommenheit. Denn echte Führungsstärke zeigt sich nicht im fehlerlosen Detail, sondern in der Fähigkeit, Teams zu inspirieren, Vertrauen zu schenken und gemeinsam Ziele zu erreichen.
Also: Statt „Sei perfekt!“ lieber „Trau dich, unvollkommen zu sein!“ – das ist die eigentliche Stärke.
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